Marian Kratz
Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik • Band 31 (2025), 39–58
https://doi.org/10.30820/0938-183X-2025-31-39 CC BY-NC-ND 4.0 https://jahrbuch-psychoanalytische-paedagogik.deZusammenfassung: Im Dialog zwischen psychoanalytisch-pädagogischen und literaturwissenschaftlichen Konzeptionen zu Bildungsprozessen in Text-Leser:innen-Beziehungen richtet sich der Beitrag an das Fachpublikum des erziehungswissenschaftlichen Professionalisierungsdiskurses. Im Zentrum des Beitrags steht dabei die grundlagentheoretische Herleitung einer bildenden Funktion des Lesens psychoanalytisch-pädagogischer Falldarstellungen innerhalb der Hochschullehre. Für dieses Projekt wird die psychoanalytisch-pädagogische Falldarstellung in Anlehnung an Wilfried Datler zunächst als »Bericht mit erzählendem Charakter« bestimmt und anschließend ihre autobiografische Signatur herausgearbeitet. Hierdurch werden erzähl- und rezeptionstheoretische Überlegungen anschlussfähig, die sodann bildungstheoretische Relevanz erhalten. In diesem dreigliedrigen theoretischen Bezugsrahmen (Erzählung – Rezeption – Bildung) wird eine Hochschuldidaktik, die mit dem Medium der psychoanalytisch-pädagogischen Fallerzählung arbeitet, als Arbeit an narrativer (Berufs-)Identität verhandelt.
Schlüsselwörter: Fallkasuistik, Lesen, Professionalisierung, Hochschullehre, Bildung, Narrative Identität
Galten die Verschriftlichung, die Veröffentlichung und die fachliche Diskussion von Praxisfällen (auch innerhalb von (Aus-)Bildungskontexten) lange Zeit als das Kennzeichen der klinischen Psychoanalyse und später auch der Psychoanalytischen Pädagogik, so wird der Sammelbegriff der Fallkasuistik heute in der vollen Breite der erziehungswissenschaftlichen Subdisziplinen in Anschlag gebracht, vor allem, wenn diese zu Fragen der Professionalisierung kommen (Kratz & Dlugosch, 2024). Rekonstruktive Fallarbeit bildet, lautet das verbindende Credo aktuell. Nicht zuletzt reflektiert sich dies in der überarbeiteten Fassung des Kernkurrikulums Erziehungswissenschaft (KKE) 2024, in dem die Begriffe Rekonstruktion und Reflexion prominent platziert sind.1 Dabei fällt allerdings auf, dass Bildung und Reflexion als zusammenhängende Prozessbegriffe wenig konkretisiert werden. So wirken sowohl der Bildungsbegriff (Bittner, 2011) als auch der Reflexionsbegriff (Kratz, 2022) im Professionalisierungsdiskurs wie trübe semantische Hülsen, die ihre grundlegenden Mikroprozesse nur vage erkennen lassen. So ist bspw. nicht hinreichend geklärt, wie der Prozess der Reflexion als innerpsychische-, soziale- und körpergebundene Praxis präzise zu bestimmen ist (Dlugosch & Kratz, 2024). Vor dem Hintergrund dieses Problemaufrisses fokussiert der Beitrag auf die Analyse eines ausgewählten Prozessbegriffs: auf den Prozess des Lesens von Falldarstellungen.
Dabei wird in die Perspektive und Argumentationslogik Günther Bittners eingestimmt, dass nicht die Reflexion von etwas das Eigentliche und ausschließlich Bildende ist, sondern das, worauf hin die Reflexion reflektiert (Bittner, 2011, S. 17ff.). Bittner argumentiert, dass das gelebte Leben, der biografischen Reflexion vorgelagert, eigenständig bildenden Einfluss ausübt: Das Leben bildet! An die Stelle des gelebten Lebens wird im Beitrag der Leseprozess als sinnliches, der Reflexion vorgelagertes, bildendes Erlebnis zur Diskussion gestellt.
Strukturiert wird der Beitrag mit seinem Dreischritt durch (2) die Explikation der Fragestellung, an die (3) im Hauptteil eine Analyse des Charakters der psychoanalytisch-pädagogischen Fallerzählung sowie die theoretische Herleitung einer bildenden Funktion ihrer Lektüre (des Lesevorgangs) anschließt. In diesem Teil wird zwischen psychoanalytisch-erzähltheoretischen und literaturwissenschaftlich-rezeptionstheoretischen Konzeptionen vermittelt. Dabei werden sowohl das Konzept der Narrativen Identität (hier ausgehend von Jürgen Straub, 2024) als auch das Konzept der Professionellen Entwicklung (Andrea Dlugosch, 2003; 2016) berührt, die abschließend (4) zusammengebracht und in ihrer Verbindung als möglicher Fluchtpunkt im erziehungswissenschaftlichen Professionalisierungsdiskurs in Aussicht gestellt werden.
Im Professionalisierungsdiskurs der Erziehungswissenschaft hat sich, nicht zuletzt über die verdienstvollen Präzisierungen der Strukturlogik pädagogischer Handlungsfelder in der Linie Ulrich Oevermanns (1996, 2000), ein verbindendes Interesse an den Wissensformen entwickelt, mit denen Pädagog:innen unter den Bedingungen von Unkontrollierbarkeit, Antinomie, Kontingenz und Unsicherheit in der pädagogischen Praxis handlungsfähig bleiben (zur Übersicht Kratz, 2022, 2024). Zunehmend durchsetzungsfähig wurde das grundlegende Verständnis, dass Pädagog:innen unter dem Handlungsdruck des Sozialen auf implizites, mithin körpernahes Wissen zurückgreifen, das sie sich über ihre lebensgeschichtliche Teilhabe am Sozialen in und außerhalb von Institutionen selbst einverleibt haben. Der Blick der Professionalisierungstheoretiker:innen richtet sich inzwischen quer durch die unterschiedlichen erziehungswissenschaftlichen Subdisziplinen auf die Pädagog:innen, ihre Lebensgeschichte, auf das, was sie damit und daraus gemacht haben und auf die Frage, wie dieses Wissen reflexiv eingeholt werden kann (Bittner, 2011; Wilde & Kunter, 2016, S. 308; te Poel & Heinrich, 2020). Obwohl gerade über die biografietheoretisch inspirierte Frage nach einer selbstreflexiven Professionalisierung (zur Übersicht und den Grundlagen siehe Fabel-Lamla, 2018, 2024) ein psychoanalytisch-pädagogischer Zugang naheliegt (bspw. von Siegfried Bernfeld ausgehend), avanciert im Mainstream des Diskurses dann allerdings Pierre Bourdieus Habituskonzept zur zentralen Bezugstheorie der Professionalisierungsdebatte, in der Hoffnung, mit ihm ein gesellschaftlich gebildetes sinnvolles Verhalten ohne Bewusstsein theoretisch fassen zu können. Vor diesem Hintergrund erlebt die Konzeption der Universität als Arbeit am Habitus (Dlugosch, 2003; Hild, 2019) aktuell einen neuen, aber letztlich doch inkonsequenten Aufschwung. Diskutiert wird, wie sich selbstreflexive Bildungs- und Professionalisierungsprozesse innerhalb der Hochschulen theoretisch konzeptualisieren und didaktisch anbahnen lassen, die an Bereiche des Impliziten und Präreflexiven anschließen. Die habituellen Aneignungspraktiken und -logiken von Studierenden sollen im Feld der Universität, so die Logik, angesprochen, gleichsam berührt und verändert werden. Innerhalb dieses Orientierungsraums avanciert die Fallkasuistik dann zum zentralen didaktischen Mittel. Über die methodisch kontrollierte hermeneutische Arbeit am Praxisfall (i. d. R. über Videoaufzeichnungen oder Transkriptionen von Unterrichts- oder Beratungssituationen eingebracht) könnten sich Studierende in Fallkasuistik-Seminaren dem »fremden Anderen im Eigenen zuwenden« (Helsper, 2018, S. 131). Dabei soll über Fallkasuistik so etwas wie Habitussensibilität angebahnt (te Poel & Heinrich, 2020; Sander, 2014) oder, groß gedacht, eine Habitustransformation in Gang gesetzt werden (Helsper, 2018; kritisch hierzu Kullmann, 2011; Kratz, 2022). Als zentrale Methoden haben sich unter diesen Zielperspektiven erst die Objektive Hermeneutik sensu Oevermann (2000) und später die Sequenzelle Habitusrekonstruktion sensu Kramer (2017) etabliert. Im gleichen Entwicklungszug hat sich in der Hochschullehre eine Arbeit am fremden Fall als unverfängliche(re) Möglichkeit der Fallarbeit durchgesetzt (Ellinger & Schott-Leser, 2019), wohingegen in den Praxisfeldern, unter der gleichen Zielperspektive aber vom Begriff der Supervision ausgehend, an der Arbeit am eigenen Fall festgehalten wurde (Leser & Jornitz, 2022). Wenn die eigene Lesart des Falls sich von den Lesarten anderer Studierender oder Praktiker:innen unterscheidet, so die verbindende These unter dem Credo Fallarbeit bildet, eröffne sich ein Möglichkeitsraum, in dem die eigenen habituellen Wahrnehmungs- und Deutungsmuster reflexiv eingeholt werden können. Entgegen der Rezeptionsdichte dieser Argumentationslogik und ihrer zentralen Begriffe (Fallarbeit, Kasuistik, Reflexion, Reflexivität, Bildung und Professionalität) stößt man auf der Ebene der Grundlagen, wie in der Einleitung bereits markiert, immer wieder auf auffällig vage Formulierungen: »Es ist naheliegend anzunehmen, dass eine reflexive Auseinandersetzung mit berufspraktischen Handlungsproblemen per se einer Professionalisierung des beruflichen Handelns zuträglich ist« (Leser & Jornitz, 2022, S. 139). Dass es naheliegend ist, eine Zuträglichkeit anzunehmen, weist aus, dass nicht geklärt ist, wie genau Fallarbeit bildet und welche Mikroprozesse an diesem Bildungsprozess in welcher Art beteiligt sind.
Vor dem Hintergrund dieser Kulisse ist augenfällig, dass die Psychoanalytische Pädagogik etwas beizutragen hat, aber auch, dass sie sich nicht einfach theoretisch oder didaktisch einfädeln oder »dazuschreiben« lässt. Sie fußt auf anderen theoretischen Grundlagen: Im Fokus steht nicht das implizite Wissen, sondern Theorien des Unbewussten. Auch verwendet die Psychoanalytische Pädagogik andere Medien: Gearbeitet wird i. d. R. an verschriftlichten Erzählungen, die auf eigenen Erfahrungen beruhen.2 Nicht zuletzt verfolgt die psychoanalytische Perspektive auch andere Ziele: Nicht die Arbeit am Habitus steht im Zentrum, sondern die Ausbildung einer methodischen Kompetenz zur bewussten, eben nicht habitualisierten Reflexionsfähigkeit unter Einbezug von Selbst- und Kulturkritik.
Die psychoanalytisch-pädagogische Fallkasuistik enthält bei aller Nähe also eine Differenz, die sie auf den benannten Ebenen nicht auf dem Markt der Theorien und Methoden fallkasuistischer Hochschullehre aufgehen lässt. Sie enthält eine Differenz, die sie exponiert, interessant und anschlussfähig macht. Der für den vorliegenden Beitrag relevanteste Unterschied ist dabei, dass innerhalb der psychoanalytisch-pädagogischen Literaturlage bereits bildungstheoretische Konkretisierungen einer fallkasuistischen Hochschullehre vorliegen (Hierdeis, 2010, 2022; Kratz, 2022; Dlugosch & Kratz, 2022). Mit ihnen ist der oben zitierten Aussage zuzustimmen: Ja, es ist naheliegend anzunehmen, dass eine reflexive Auseinandersetzung mit berufspraktischen Handlungsproblemen einer Professionalisierung des beruflichen Handelns zuträglich ist. Aber nicht per se, sondern nur unter bestimmten – bildsamen – Prozessen und Bedingungen, die zu explizieren sind.3
»Falldarstellungen, wohin man blickt. Möchte man psychoanalytische Falldarstellungen lesen, so muss man im Regelfall nicht lange suchen: Mit großer Wahrscheinlichkeit stößt man auf Kasuistisches, sobald man in psychoanalytischen Veröffentlichungen zu blättern beginnt« (Datler, 2004, S. 9). Den Fragen nach dem Motiv und den Funktionen der psychoanalytischen und psychoanalytisch-pädagogischen Fallkasuistik hat sich Wilfried Datler (2004) in seinem Beitrag: »Wie Novellen zu lesen … Historisches und Methodologisches zur Bedeutung von Falldarstellungen in der Psychoanalytischen Pädagogik« vor 20 Jahren sehr differenziert angenommen. Im Folgenden wird dieser Beitrag untersucht, um einen möglichen bildungstheoretischen Anschluss zu versuchen. Der Weg führt über psychoanalytische Erzähltheorie und literaturwissenschaftliche Rezeptionstheorie, deren Vermittlung jüngst von Moritz Heß (2024) intensiviert wurde.4
Wilfried Datler ist 2004 in das Projekt eingestiegen, das implizite Wissen über die Bedeutung und die Funktionen von Falldarstellungen im Diskurs der Psychoanalytischen Pädagogik weiter zu explizieren. Über den Forschungsprozess einer sorgfältigen, systematischen Literaturrecherche und -analyse arbeitet er die Geschichte, spezielle Anwendungsfälle (Falldarstellung, Fallstudie, Fallvignette, Fallbeispiele usw.) und die Funktionen von Falldarstellungen erst im Diskurs der Psychoanalyse Freuds und dann im Diskurs der Psychoanalytischen Pädagogik heraus. Im Beitrag ist präzise zu lesen, wie das novellistische Schreiben, das schnell zum Identitätsmerkmal psychoanalytischer Fallkasuistik avancierte, einst über die Einflüsse, die Jean Marie Charcots Falldarstellungen auf Freud hatten, den Weg in Freuds Krankengeschichten fand. Charcots Form der Falldarstellung als »Bericht mit erzählendem Charakter« (ebd., S. 24) führte Freud an die Einschätzung heran, dass sich das Innerpsychische, seine Pathologie aber auch Veränderungen im therapeutischen Prozess am angemessensten über das Medium der Erzählung beschreiben, verstehen und vom Intimen der therapeutischen Beziehung ins Öffentliche des Fachdiskurses transportieren lassen. Über seine Weiterentwicklung des Berichts mit erzählendem Charakter mittels literarischer Gestaltungsmittel, insbesondere seiner Metaphorik, konnte Freud in die Prozesse einführen, die sich zuvor über eine Therapie mit erzählendem Charakter hatten herstellen lassen. Die Falldarstellungen öffneten den privaten Ort der psychoanalytischen Forschung, der im Prozess selbst keine unmittelbaren dritten Beobachtenden verträgt, der sofort zerbricht, sobald eine Zeugin oder ein Zeuge auch nur (gedanklich) in die Nähe rückt (ebd., S. 29). Als eine zentrale Funktion der nachträglichen Verschriftlichung und Veröffentlichung von Erfahrungen aus diesem privaten Ort, der sich mit Blick auf das Arbeitsbündnis inzwischen mit Frank Dammasch intersubjektivitätstheoretisch als »Forschungsteam der Intimität« (Dammasch, 2022) differenzieren lässt, gibt Datler dann die folgende Einschätzung:
»Er [Freud; MK] rückt in seinen längeren Fallgeschichten ebenso wie in seinen kurzen Fallvignetten einen Protagonisten ins Zentrum der Aufmerksamkeit, führt seine Leserinnen und Leser Schritt für Schritt an die Welt dieser ›Hauptfigur‹ heran und ›verführt‹ sein lesendes Publikum dazu, sich in Freuds Hauptfigur hineinzuversetzen. Auf diese Weise weckt Freud in seinen Leserinnen und Lesern Vorstellungen und Stimmungen, die im Alltag so ohne weiteres nicht verfügbar sind, nun aber lebendig werden und eine deutliche Nähe aufweisen zu jenen innerpsychischen Prozessen, die Freud in seinen Analysen zu erkunden versucht: Auf diese Weise kann in der inneren Welt seiner Leserinnen und Leser das lebendig werden und Kontur erhalten, was den Gegenstand der Freudschen Forschungsbemühungen darstellt und Freud immer wieder veranlasst, bestehende Theorien zu modifizieren und in neue Theorien überzuführen« (Datler, 2004, S. 31f.).
Mit seinen novellenartigen Fallgeschichten kann Freud von seiner Therapie und seinen Theorien überzeugen, verständlich machen, was für Dritte unmittelbar nicht mit-zu-vollziehen und nicht mit-zu-beobachten ist. So rückt Datler die Funktion des »Präsentierens und Begründens« von psychoanalytischen Prozessen, Überlegungen und Theorie(Entwicklung) durch Falldarstellungen in das Zentrum seines Beitrags (ebd., 2004, S. 13). Auf dieser Grundlage kann er rekonstruieren, wie die Psychoanalytische Pädagogik diese Funktion aufgriff und ebenfalls tief in ihre Genetik der Theorie- und Praxisentwicklung einschrieb. Er hält fest, »dass Freuds Art der Abfassung und Veröffentlichung von Fallstudien für die sich ausbildende Tradition des ›Denkens und Schreibens über Fälle‹ innerhalb der Psychoanalyse insgesamt vorbildhaft wurde und sich auch in der Psychoanalytischen Pädagogik wieder finden lässt« (ebd., S. 33).
Differenziert belegt Datler dies an Werken ausgewählter Klassiker: Redl & Wineman, Zulliger, Aichhorn und dann noch an zahlreichen Beiträgen aus dem Jahrbuch für Psychoanalytische Pädagogik. Man könnte die Liste von 2004 bis heute mit ganz aktueller Literatur immer weiter auffüllen. Nach wie vor gilt für die psychoanalytisch-pädagogische Literaturlage wie auch für psychoanalytisch-pädagogische Lehrveranstaltungen: Falldarstellungen, wohin man blickt. Aber welche Funktion hat der Bericht mit erzählendem Charakter in der Lehre? Wie lässt sich ein Bildungsprozess über die Auseinandersetzung mit Fallerzählungen konkretisieren? Zur Bearbeitung dieser Frage wird die bereits zitierte Textstelle von Datler erneut aufgegriffen und eine andere Lesart verfolgt.
»Er [Freud; MK] rückt in seinen längeren Fallgeschichten ebenso wie in seinen kurzen Fallvignetten einen Protagonisten ins Zentrum der Aufmerksamkeit, führt seine Leserinnen und Leser Schritt für Schritt an die Welt dieser ›Hauptfigur‹ heran und ›verführt‹ sein lesendes Publikum dazu, sich in Freuds Hauptfigur hineinzuversetzen« (ebd., S. 31f.).
Etwas später im Text ist zu lesen, dass Freuds Falldarstellungen mitunter »autobiographischen Charakter« (ebd., S. 29) tragen und bei den Ausführungen zu Aichhorns Falldarstellungen spricht Datler von der Basis der »eigenen Erfahrung«, auf der Aichhorn nach eigener Angabe aufbaut (ebd., S. 36).
Nach meiner Lesart und vor dem Hintergrund eines intersubjektiven Verständnisses therapeutischer und pädagogischer Beziehungs- und Entwicklungsprozesse ist die Hauptperson der psychoanalytischen respektive der psychoanalytisch pädagogischen Fallerzählung nicht allein der Patient oder die Patientin bzw. der Klient oder die Klientin. Die Autor:innen der Fallerzählungen erzählen sich als Hauptfiguren mit: Sie führen die Lesenden in den Raum ihrer Erinnerungen, Fantasien und Gedanken. Die Analytiker:innen und Pädagog:innen treten in den Falldarstellungen, wie ich argumentieren werde, als Hauptdarsteller:innen erster Ordnung in Beziehung zu anderen Hauptdarsteller:innen. Es sind die Autor:innen, die uns einladen, ihnen in ihre inneren Welten zu folgen, in denen sie dann die inneren Welten ihrer Selbst und Dritter konstruieren. Eine kurze Erinnerung an Freuds Eröffnung seiner bekannten Fallerzählung Katharina kann hier als Beispiel dienen:
»In den Ferien des Jahres 189* machte ich einen Ausflug in die Hohen Tauern, um für eine Weile die Welt der Medizin und besonders die Neurosen zu vergessen. Es war mir fast gelungen, als ich eines Tags von der Hauptstraße abwich, um einen abseits gelegenen Berg zu besteigen der als Aussichtspunkt und wegen seines gut gehaltenen Schutzhauses gerühmt wurde. Nach anstrengender Wanderung oben angelangt, gestärkt und ausgeruht sass ich dann, in die Betrachtung einer entzückenden Fernsicht versunken, so selbstvergessen da, dass ich es erst nicht auf mich beziehen wollte, als ich die Frage hörte: ›Ist der Herr ein Doctor?‹« (Breuer & Freud, 1895, S. 106f.).
Es ist Freud, der Erzähler-Autor, der Urlauber und Arzt, den wir uns beim Lesen vorzustellen beginnen und wir werden ihn die ganze Lektüre über nicht mehr aus den Augen verlieren. Durch ihn hindurch werden wir miterleben, wie er auf Katharina trifft und mit ihr das »Forschungsteam der Intimität« (Dammasch, 2022) bildet. Strukturidentisch sind Fallerzählungen im Kontext der Psychoanalytischen Pädagogik verfasst, wie in diesem Beispiel von Manfred Gerspach zu lesen:
»In meiner frühen Zeit als pädagogischer Mitarbeiter in einer teilstationären Einrichtung für verhaltensauffällige Kinder arbeitete ich mit einem Jungen, der herzensgut sein konnte, aber auch vor aggressiven Ausbrüchen nicht geschützt war. Seine Mutter war vor kurzem gestorben, sein Vater, durch eine ihn schwer entstellende Verletzung am Kopf traumatisiert, teilte ihm mit, er müsse ihn gut behandeln, sonst würde er auch noch sterben. Der Junge litt unter dem Verlust der Mutter, der ihn traurig, aber auch wütend machte, weil sie die Familie zusammengehalten hatte und dies jetzt nicht mehr gewährleistet war« (Gerspach, 2024, S. 83).
Hier wie dort folgen wir den Autoren in ihre Erinnerungen, die auf Spuren vergangener Beziehungserfahrungen aufbauen. Wir treten in Kontakt mit den Autoren, die für uns und für sich ihre Geschichten erzählen.
Berührt werden wir beim Lesen also von der Vorgängigkeit der erzählten Szenen, den Autor:innen und zwei analytisch schwer auseinanderzuhaltenden Hauptfiguren, die im Text in Beziehung zueinander treten. Es ist ein subjektiv-erinnertes Beziehungserlebnis zu lesen, das mit bestimmten Motiven zur schriftlichen Darstellung gebracht wurde. Diese Bestimmung ist hier wichtig, weil sie mit Anleihen an die Narrative Psychologie (Straub), die Psychoanalyse (Walter & Hierdeis) sowie die Literaturwissenschaft (Rieger-Ladich & Heß) erst erzähl- und rezeptionstheoretisch und später bildungstheoretisch für die Frage nach einer bildenden Funktion des Lesens psychoanalytischer und psychoanalytisch-pädagogischer Falldarstellungen relevant gemacht werden kann.
Die psychoanalytischen und psychoanalytisch-pädagogischen Falldarstellungen sind bisher als Berichte mit erzählendem und autobiografischem Charakter bestimmt worden. Sie fußen auf der Basis eigener Beziehungserfahrungen in Therapie oder Pädagogik und sollen Beziehungs-, Bildungs- und Entwicklungsprozesse von Therapeut:innen, Pädagog:innen, Analysand:innen und Klient:innen bezeugen. Um diese Beziehungserfahrungen zur Erzählung zu bringen, müssen die Autor:innen den Weg über Erinnerungsprozesse gehen, die sich mit Ilka Quindeau als innerpsychische und zugleich sozial konstituierte Prozesse fassen lassen (Quindeau, 2004). Nachträglich werden Erinnerungsspuren einer einst spezifischen, leibhaftigen Beziehungserfahrung zu Erinnerungsbildern transformiert und dann in die Matrix der kollektiv verständlicheren Textsprache übersetzt. Dieser Transformations- und Übersetzungsprozess lässt sich mit Frank Dammasch weiter aufklären:
»Genauer betrachtet, besteht der Text aus der verschrifteten Rekonstruktion der inneren Niederschläge eines Beziehungserlebnisses, die sich ursprünglich in einer empirisch nachweisbaren Situation sowohl sprachlich wie szenisch-körperlich entfalten, von der Wahrnehmungsstruktur des Therapeuten schon im Prozeß der teilnehmenden Beobachtung unbewußt geordnet werden, sich in der Vergegenwärtigung des Erinnerns schließlich intrapsychisch verknüpfen mit der affektiven und kognitiven Struktur des Schreibenden und dann in Worte gegossen aufs Blatt gebracht werden. Also ein rekonstruierter und zugleich kreativer Vorgang, der einen Text erstellt, der hoch verdichtet ist« (Dammasch, 2000, S. 99).
Psychoanalytische und psychoanalytisch-pädagogische Fallerzählungen klingen in diesem Verständnis an Kosellecks theoretische Figur der »gegenwärtigen Vergangenheit« (1985) an. Die Autor:innen erschaffen auf der Grundlage ihrer Erinnerungen eine gegenwärtige Vergangenheit, mit dem Ziel, andere zu überzeugen und, das scheint hier besonders relevant, sich selbst einer eigenen professionellen Identität zu versichern. So stellt sich Freud in seiner Fallgeschichte Katharina auch als Therapeut dar, der im Urlaub nebenbei und in kürzester Zeit die Neurose der jungen Frau aufzuklären im Stande ist. Erzähltheoretisch ist das mit Jürgen Straub plausibel, bei dem das Glaubhaftmachen ein Strukturmerkmal einer jeden Erzählung ist:
»In dieser Perspektive geht es speziell um den vom Erzähler intendierten oder im Zuge des Erzählens erreichten Einfluss ›auf die Vorstellungen, Meinungen, Überzeugungen und affektiv-emotionalen Zustände der Zuhörer‹ […]. Diese Einflussnahme steht allgemein, speziell aber im Hinblick auf das Erzählen von Geschichten nicht allein im Zeichen des vernunftgeleiteten Argumentierens und Überzeugens, einer rhetorischen Praxis mithin, die sich (nach Aristoteles) auf Paradigmata und das Verfahren der ›rhetorischen Induktion‹ stützt, sondern vor allem auf psycho-affektive, emotionale Aspekte der rhetorischen Praxis des ›Glaubhaftmachens‹« (Straub, 2024, S. 48).
Diese Praxis des Glaubhaftmachens bezieht sich auf die Lesenden aber eben auch auf ein Selbst-Glaubhaftmachen bzw. eine Selbstvergewisserung der eigenen Professionalität. Sie muss für andere und für sich selbst erzählend hergestellt und abgesichert werden (Heß, 2024). Das erkannte schon Wilfried Datler, als er auf die Gefahr der »Selbstidealisierung« (Datler, 2004, S. 389) in und durch psychoanalytische und psychoanalytisch-pädagogische Falldarstellungen hingewiesen hat.
Wenn die psychoanalytische und psychoanalytisch-pädagogische Fallerzählung an diesem Punkt mit den Begriffen der Selbstvergewisserung, der Identität und dem Begriff der Professionalität verbunden werden kann, so lässt sich nun fragen, welche Effekte wir annehmen können, wenn wir diese Erzählungen nicht, wie Freud oder Gerspach im Beispiel, schreiben, sondern innerhalb der Hochschullehre lesen.
Von hier aus lohnt es ein Stück mit der psychoanalytischen Rezeptionstheorie zu gehen, die sich vor dem Hintergrund psychoanalytischer Bild-, Film- und Literaturanalyse entwickelte und die ich an anderer Stelle schon intensiver besprochen habe (Kratz, 2020, 2023).
Beim Lesen von Berichten mit erzählendem und autobiografischem Charakter stehen wir den Erzählungen nicht nur aufnehmend gegenüber. Wir projizieren, so schreibt es Faulstich, eigene Gefühle in die Protagonist:innen, die literarischen Figuren hinein und lassen über Identifikation und Projektion Unbewusstes und Verdrängtes, eigene Konflikte und Unaussprechliches in uns aufleben (Faulstich, 2013, S. 23; Kratz, 2020). Die Erzählung begünstigt, ähnlich wie der Film, durch ihre Bildsprache, eidetische, bildhafte Erfahrungen, die wiederum die Leseerfahrung organisieren. Diese Organisation lässt sich dahingehend weiter aufklären, dass die Bildsprache der bildhaften Organisation unserer Erinnerungen entspricht und bewusste sowie unbewusste Erinnerungsleistungen evoziert (Mikos, 2000, S. 8). Erzählungen zu lesen, die auf Erinnerungen aufbauen, das ist hier der entscheidende Punkt, organisiert einen Fantasie- und Erinnerungsprozess in den Lesenden, als Grundlage einer stillen, den Text begleitenden Selbsterzählung, Selbstthematisierung und Selbstvergewisserung.
Wenn wir den Fall Katharina in Erinnerung rufen, dann können wir uns vielleicht vorstellen, wie wir beim Lesen der Erzählung im Zustand verträumter Anteilnahme, je nachdem, mit wem wir uns gerade im Text identifizieren, mit Bildern und Gefühlen eigener Urlaubserfahrungen, Erfahrungen mit Ärzt:innen oder eigener Eltern-Kind-Konflikte in Kontakt kommen. Sicher kommen wir auch mit dem Inzesttabu in uns in Berührung, wenn wir uns erinnern, dass im Zentrum der Erzählung die sexuelle Nötigung steht, die Katharina durch ihren Vater erlitten hatte. Wir können uns aber, vielleicht sogar am ehesten, vorstellen, dass wir über den Weg der Identifikation mit dem Erzähler und »Rätsellöser« Freud (Datler, 2004, S. 26) mit Vorstellungsbildern unserer eigenen oder künftigen Professionalität in Kontakt kommen.
Mit Christians und Arnold lässt sich dieser Effekt so erläutern: »Es entsteht [beim Lesen, MK] eine unbewusste Verbindung zwischen dem erlebenden Subjekt und dem erlebten Objekt, durch die das Letztere durch das Erstere eine mehr oder weniger große Umformung erfährt, die wiederum als objektive Tatsächlichkeit erlebt wird« (Christians & Arnold, 2015, S. 177). So verstanden, schlüpfen wir, bleiben wir beim Fall Katharina, beim Lesen in die Rolle Freuds als Therapeuten und verändern sie durch die oben genannten Effekte der Projektion ein Stück weit (Ich in Freud). Gleichzeitig haben diese Rollenübernahme/Identifikation und Projektion das Potenzial, uns selbst zu berühren und ein Stück weit zu verändern (Freud in mir). Vielleicht erlaubt mir die Lektüre der Fallgeschichte bspw. das Bild vom Professionellen als introspektiven Rätsellöser in mein professionelles Selbstkonzept zu übernehmen – zumindest probehalber.
Durch das Lesen psychoanalytischer und psychoanalytisch-pädagogischer Fallerzählungen, so meine Argumentation, lassen sich bestimmte Eigenschaften, Haltungen aber auch Handlungspraktiken und Selbstanteile probehalber übernehmen und für die Konstruktion eigener narrativer Identität nutzen: Welche Eigenschaften, Haltungen und Handlungspraktiken kann ich integrieren, wenn ich mich als Professionelle:r erzähle?
Für Fragen der fallbezogenen Hochschullehre und Fragen der professionellen Entwicklung sind diese Vertiefungen von hoher Relevanz und so waren es konsequenterweise
»gerade psychoanalytisch orientierte Erziehungswissenschaftler, die in eigener Theoriearbeit und in ihrer mündlichen wie schriftlichen Theorievermittlung biographischen Erzählungen und dem biographischen Erzählen einen besonderen Stellenwert einräumten […]. Mit Hilfe von Zeugnissen, Beschreibungen und Fiktionen fremder Lebensgeschichten ließen sich Konfrontationen mit den Biographien der Rezipientinnen und Rezipienten herbeiführen […], mit dem Ziel, das Verworrene, Verborgene und Unbewusste in den Selbstdarstellungen ins Bewusstsein zu heben und damit das Wissen über die eigene Person zu vertiefen« (Hierdeis, 2010, S. 180).
Dass sie dabei den Stil der Novelle beibehielten, ist literaturwissenschaftlich-rezeptionstheoretisch nur folgerichtig:
»Erzählungen können ehemalige, gegenwärtige oder erwartete Erlebnisse mehr oder weniger klar zum Ausdruck bringen. Sie können Erfahrungen und Erwartungen lediglich andeuten oder filigran artikulieren (was Schriftstellerinnen meistens besser gelingt als Wissenschaftlern; daher greifen wir gern zur Literatur, sobald wir etwas von uns sowie dem Leben der anderen verstehen wollen)« (Straub, 2024, S. 25).
Die Argumentation, dass sich schon allein mittels der Lektüre psychoanalytischer und psychoanalytisch-pädagogischer Falldarstellung, verstanden als Berichte mit erzählendem und autobiografischem Charakter, ein Möglichkeitsraum öffnen kann, in dem das Repertoire für die Konstruktion einer narrativen (Berufs-)Identität von Lesenden berührt und weiterentwickelt werden kann, kann literaturwissenschaftlich untermauert werden.
Dieses Projekt hat, wie oben bereits angekündigt, Moritz Heß jüngst übernommen (Heß, 2024; Würker & Heß, 2024). Heß betont, dass beim Lesen literarischer Texte, zu denen er auch die hier behandelten Fallerzählungen zählt, eine gedankliche und quasi-körperliche Bewegung ins Praxisfeld5 evoziert wird. Freud führt uns in sein klinisches Setting6 und die Psychoanalytischen Pädagog:innen führen uns in die Intuitionen der Erziehung und Bildung hinein und en passent ins pädagogische Verhältnis. In beiden Feldern können wir uns beim Lesen unverfänglich und gedanklich probehandelnd mit-bewegen. Mit Markus Rieger-Ladich weist Heß auf diese besondere sinnliche Qualität hin:
»[S]ie [die literarischen Werke, MK] versetzen uns in eine Welt voller sinnlicher Qualitäten, geprägt von Bildern, Gerüchen und Geräuschen. Im Unterschied zu wissenschaftlichen Texten argumentieren sie nicht; sie zeigen etwas […]. Romane erklären also nicht oder sammeln eifrig Thesen; sie verlassen sich auf ihre sprachlich-sinnliche Qualität – und darauf, dass sie bei uns eine Resonanz auslösen, die zunächst eher emotional-sensualistischer Art ist« (Rieger-Ladich, 2014, S. 357; Hervorh. i. O., zit. n. Heß, 2024, S. 231).
Beim Lesen fühlen wir uns auf der Grundlage unserer biografischen Erfahrungen (Gudjons, Wagener & Pieper, 1999) nicht nur in Personen und uns selbst ein, sondern auch in das erzählte Feld und dessen Atmosphäre. Die Imagination des Feldes berührt uns leibhaftig, vor der Ebene der Sprache und der Vernunft. Die Imagination affektiert den Körper, weckt Erinnerungen, entfacht Wünsche aber auch Ängste, viel schneller als unsere Kognitionen einen Sinn, ein Wort dafür bereitstellen können.
So erreicht uns die Erzählung auf der im Professionalisierungsdiskurs so viel gefragten Ebene des impliziten, präreflexiven, körperlichen und unbewussten Wissens mit dem Potenzial, uns zu verändern. Erst in einem zweiten Schritt, sensu Günther Bittners »Das Leben bildet«, können wir im Prozess der Reflexion nach Worten für das nicht Mit-, sondern Nachgefühlte suchen. Von einem inneren Ort ausgehend, der sich im Prozess des Lesens bereits weitergebildet hat, können wir im Prozess der Reflexion etwas mehr zur Sprache führen (siehe zur sprachsymbolischen Konkretisierung dieses Prozessgedankens Kratz, 2022). Auch wenn man keine therapeutischen Erfahrungen hat, kann man sich beim Lesen in die Intimität und in die Prozesse des therapeutischen Dialoges einfühlen, das gleiche gilt für das pädagogische Verhältnis. Im Zwischenraum der Text-Leser:innen kann die Qualität und Atmosphäre der psychoanalytischen sowie der psychoanalytisch-pädagogischen Praxis (annähernd) nachgespürt werden und auf dieser leibhaftigen Grundlage der Entwurf entstehen, in der Praxis auch nach einem Evidenzerleben (Lorenzer, 1974) zu suchen, Konflikte nicht ruhigstellen, sondern reflektieren zu wollen, sich ergebnisoffen szenisch verwickeln und entwickeln (Scharff, 2009). Vielleicht lässt sich auch der Wunsch entdecken, statt nach schnellen Lösungen langwierige förderliche Dialoge (Leber, 1988) zu suchen.
Die sinnlichen Berührungen erweitern den Möglichkeitsraum der Versprachlichung unserer (professionellen) Selbstentwürfe. Sie (ver-)führen uns hin zu zentralen Haltungen und Methoden der Psychoanalyse und der Psychoanalytischen Pädagogik – ohne, dass wir argumentativ überzeugt werden müssten.
So verstanden, führt uns das Lesen psychoanalytisch-pädagogischer Fallerzählungen nicht in eine Krise (Koller oder Oevermann) oder zu »Schlüsselerlebnissen« (Bittner) als Grundlage von Bildungsprozessen. Über das Lesen von Berichten mit erzählendem und autobiografischem Charakter kommt vielmehr ein stiller Selbstreflexionsprozess in Gang, »ein in der Regel weitgehend unbeachteter und unbelichteter Strom von Bildungsprozessen, vergleichbar einer lückenhaften, schwer leserlichen und teilweise unverständlichen Textfolge« (Hierdeis, 2022, S. 29). Ich denke an stille, kaum merkliche neue Anschlüsse an biografisch gebildete, gedankliche Muster, die sich erst zeigen, wenn sie Studierende und Praktiker:innen bei der Konstruktion ihrer beruflichen narrativen Identität zum Ausdruck bringen – in Selbsterzählungen, mit denen sie sich ihres professionellen Selbst versichern. Heß findet eine passende Formulierung bei Mattern:
»Erzählungen lehren uns […], die Welt, unser Handeln und unser Leiden über die im Raum des Literarischen vollzogenen Variationen neu zu sehen. Die ›irrealen‹ Fiktionen haben so reale Effekte, indem sie unser Handeln in einer neu verstandenen Welt verändern. Dieser Prozeß der Neugestaltung der gegebenen Welt vollzieht sich im Prozeß der Lektüre« (Mattern, 1996, S. 174, zit. n. Heß, 2024, S. 251).
Die gelesene Erzählung tangiert, so kann man es mit Helmwart Hierdeis zurück auf den Begriff der Identität bringen, »die eigene Identität und wird zum subjektiven Bildungsprozess schlechthin« (Hierdeis, 2022, S. 34f.).
Die Anschlussfragen, die sich mit dieser Einschätzung eines subjektiven Bildungsprozesses »schlechthin« stellen, sind allerdings triftig und kündigen Limitationen des Beitrags an: Was für eine Lesehaltung müsste für diesen Bildungsprozess eingenommen werden und wie lässt sich diese herstellen? Lesen kann auch der Unterhaltung und somit der Bearbeitung von Langeweile dienen. Welches Setting ist notwendig und mit welchen Methoden lässt sich die Leseerfahrung eines Berichts mit erzählendem Charakter in den Raum der Sprache führen und die bis hierhin verhandelten Prozesse bewusstwerden? Was hier aus Platzgründen, vor allem aber durch die Fokussierung auf den Leseprozess an sich, nicht bearbeitet werden kann, wurde an anderer Stelle schon intensiv bearbeitet, sodass ein Verweis möglich ist (bspw. Würker, 2007, S. 69ff.; Hierdeis, 2010, S. 187ff.; Datler & Datler, 2014; Kratz, 2022).
Im Beitrag wurde eine psychoanalytisch-pädagogische Perspektive auf Bildungsprozesse in der Hochschullehre zur Diskussion gestellt, die, im Zwischenraum von Text und Leser:in situiert, die »große Bedeutung des Erzählens für die Bildung von (lebens-)geschichtlicher Kontinuität, personaler und kollektiver Identität« betonte (Straub, 2024, S. 46). Die Lektüre psychoanalytisch-pädagogischer Fallerzählungen eröffnet, so die Bilanz des Beitrags, einen Raum, in dem stillschweigend Selbsterinnerungen, Selbsterzählungen und Selbstvergewisserungen berührt, überarbeitet, erweitert oder infrage gestellt werden können. In diesem Sinne als biografische Arbeit verstanden, weist der Prozess des Lesens sowohl einen Vergangenheits-, einen Gegenwarts- als auch einen Zukunftsbezug auf. Wenn Bildungsprozesse innerhalb der Hochschullehre in dieser Logik und Dreizeitigkeit gedacht werden, gerät die Bildung der ganzen Person in den Blick, was, mit Dlugosch gesprochen, die Bildung einer »Art der Interaktionssensibilität, […] ein leibliches Gespür« (Dlugosch, 2016, S. 132, Hervorh. i. O.) für die eigene Person, ihre Geschichte, ihre Gegenwart und Zukunft einschließt. Andrea Dlugosch begegnete dieser hochkomplexen Anforderung an eine selbst- und biografiereflexive Hochschulbildung unter Bezugnahme auf Una Dirks bereits 2003 mit der Forderung einer biografisch-narrative[n] Version der Lehrerbildung, mit dem Ziel, dass sich Erinnerungsbilder in Zukunftsbilder transformieren und sinnstiftende Orientierungsgrundlagen für künftige Handlungsentwürfe bieten (ebd.). Die kontinuierliche Lektüre psychoanalytisch-pädagogischer Fallerzählungen, so hat der Beitrag zu argumentieren versucht, kann für dieses Ziel einen Beitrag leisten. Beim Lesen psychoanalytischer und psychoanalytisch-pädagogischer Fallerzählungen sind wir, ebenso wie beim Erzählen, mit unserer ganzen Lebensgeschichte involviert (Gudjons, Wagener & Pieper, 1999) und werden ebenso in unseren Lebensentwürfen berührt.
Das Lesen ist dabei das Vorgängige, das, was uns berührt. Vielleicht ist das Lesen das »Fundamentale, die Reflexion das Nachgehende« (Bittner, 2011, S. 24). Denn das Repertoire, aus dem wir unsere professionelle Identität, unsere professionelle Selbstvergewisserung und unsere Selbsterzählungen zusammenbauen (kurz: Wer bin ich als Psychoanalytische:r Pädagog:in?), bildet sich während der Leseerfahrung unterhalb der Schwelle sprachlicher Reflexion heraus. Vor der Reflexion der Fallerzählung im Seminar ist durch das Lesen vielleicht schon die Hälfte der Arbeit getan.
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The psychoanalytic case narrative and the concept of narrative identity
Psychoanalytic-pedagogical impulses in the educational professionalization discourse
Summary: In the dialogue between psychoanalytical-pedagogical and literary concepts of educational processes in text-reader relationships, the article is aimed at the specialist audience of the educational professionalization discourse. At the center of the article is the basic theoretical derivation of an educational function of reading psychoanalytical-pedagogical case presentation within university teaching. For this project, the psychoanalytic-pedagogical case presentation is first defined as a »report with a narrative character«, following Wilfried Datler, and then its autobiographical signature is worked out. This makes it possible to connect narrative and reception theory considerations, which then become relevant to educational theory. In this tripartite theoretical frame of reference (narrative – reception – education), university didactics, which works with the medium of psychoanalytical-pedagogical case narratives, is negotiated as work on narrative (professional) identity.
Keywords: case casuistry, reading, professionalization, university teaching, education, narrative identity
Marian Kratz, Vertr. Prof. Dr. phil., Dipl.-Sozialarbeiter, lehrt und forscht am Institut für Sonderpädagogik an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau (RPTU). Von 2013 bis 2019 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sonderpädagogik an der Goethe Universität Frankfurt, sowie als Lehrbeauftragter an Hochschulen in Innsbruck, Halle, Frankfurt, Darmstadt und Fulda. Mit seinem psychoanalytisch-pädagogischen und psychoanalytisch-sozialpsychologischen Forschungs- und Lehrprofil legt er Entwicklungs- und Bildungsprozesse in den Lebensaltern der Kindheit und Jugend systematisch im Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft an. Seit 2016 arbeitet er im Forschungsschwerpunkt zudem zu Fragen einer selbst-reflexiven Professionalisierung in psychosozialen Studiengängen.
Kontakt
E-Mail: m.kratz@rptu.de